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Ein Schuster macht sich seine Leisten

Von Wood-Mizer, Deutschland

Ein Schuster macht sich seine Leisten

Um den Laden von Hilmar Benthin zu finden, muss man schon durch viele kleine verwinkelte Gassen fahren in Parchim, eine Kreisstadt mit knapp 19.000 Einwohnern im mecklenburgischen Flachland. Das Geschäft liegt direkt im Zentrum, man könnte sagen schon etwas versteckt in den vielen Einbahnstraßen rund um die Kirche Parchims.

Was von außen wie ein kleiner Laden für orthopädische Schuhe aussieht, entpuppt sich bei meinem Besuch als „Produktionswerk“.

Freundlich begrüßt mich Hilmar Benthin und, wie er so ist, nicht viel Zeit verlieren – „komm rein, ich zeig dir alles“ – und schon geht’s los. Ich bin überwältigt von dem, was er dort mit seinen zwei Angestellten herstellt. Als erstes bekomme ich zwei Holzfüße in die Hände, das ist es was mit der Wood-Mizer Säge entsteht. Jede Leiste wird individuell aus Buche gefertigt. Die kommen sämtlich aus dem Parchimer Forst.

 

 

Aber vielleicht der Reihe nach – ich frage mich ja, warum braucht ein Orthopäde eine LT70WIDE, ein vollhydraulisches Sägewerk mit einem Bedienpult und allem Schnickschnack dran, wovon Säger nur träumen. Noch dazu einen MP360 Vierseitenhobel, den er 2019 mit der Säge zusammen erworben hat. Also fängt Hilmar Benthin an, mir seinen Betrieb und was er so herstellt zu erklären.

Vom ansässigen Förster kauft Hilmar Buchenstämme ein. „Die sind wesentlich günstiger, als wenn ich fertige Tischlerware nehme und die Qualität ist um Längen besser“, sagt er. Denn was für sein Handwerk wichtig ist, ist vor allem die Qualität, rissiges Holz kann er nicht verwenden.

Er schneidet immer 6,5 cm starke Bohlen. Für ihn war wichtig, dass die Säge zuverlässig arbeitet und er schnell einen guten Service bekommt, wenn mal was ist.

Warum er keine kleinere Säge genommen hat, konnte er mir auch schnell sagen: „Ich brauche eine schnelle zuverlässige Säge, bei der ich mich nicht großartig körperlich anstrengend muss. Das Multicar fährt die Stämme ran, der Ladearm lädt auf und der Rest geht fast von allein, erklärt er. „Mit den 50 mm Bändern arbeitet die Säge leise und zügig. Man muss hier auch bedenken, dass der Hinterhof mitten in der Innenstadt liegt. Die Nachbarn sind nicht weit weg und unendlich viel Platz ist da auch nicht.“ Nach 20 Uhr läuft bei ihm keine Maschine mehr, aus Rücksicht auf die Anwohner.

 

 

Aber weiter zu den Holzfüßen, die man überall sieht. Nachdem die Bohlen gesägt sind, werden sie in seiner Trockenkammer in etwa einer Woche auf 7% Feuchte getrocknet und danach übereinander verleimt. Jetzt kommt der Hobel ins Spiel – der verleimte Block wird plangehobelt und anschließend werden in der CNC-Fräse die Leisten ausgefräst. Über ein Computerprogramm wird der Schuh erstellt, den der Kunde benötigt. Dazu braucht er die Füße des Kunden in Holzform. Der Klotz wird in die Fräse eingespannt, die Achse eingezeichnet und dann legt sie los.

Weiter geht’s dann in der Werkstatt – dort werden, zur hergestellten Leiste passend, die Sohle und der Bezug ausgeschnitten, vernäht, zusammengebracht, verklebt und am Ende entsteht ein Schuh, so einzigartig wie sein Besitzer.

 

 

Früher hat Hilmar mit einem befreundeten Tischler zusammengearbeitet und dort sein Holz schneiden lassen, aber das wurde zeitlich immer schwieriger und umständlicher. „Ich dachte damals, das kann ich doch auch alleine machen“, erinnert er sich und zack stand eine LT70 auf dem Hof. So kann er flexibel und individuell sein Holz sägen. Braucht er breitere Blöcke, dann sägt er breiter.  Alles ist möglich und wenn seine Frau mal nach Baumscheiben fragt, das ist für Hilmar kein Problem, dann macht er auch das.

Alle Regalböden in seinem Lager und seiner Werkstatt hat er selbst gesägt – diese im Baumarkt sägen zu lassen wäre doch recht teuer geworden. Und selbst gemacht ist eben auch selbst gemacht.

Aber zurück zum Schuh – in der Werkstatt kann ich zuschauen wie sein Geselle gerade den Lederbezug für einen Kundenschuh verklebt und bin erstaunt über das schicke Design. Man denkt ja immer, medizinisch und schick geht nicht zusammen. Ist leider oft auch so, aber in Hilmar steckt mehr als nur der Orthopädie-Schuhmacher-Meister und Innungsobermeister Mecklenburg-Vorpommerns. Wie man das wird? Nach 3,5 Jahren Ausbildung zum Gesellen und den zusätzlichen 3 Jahren Praxiserfahrung kann man zur Meisterschule gehen, die dauert auch noch ein Jahr.

Er ist Designer, Tischler, Näher, Sägewerker, und dazu noch ein bisschen Seelsorger mit einer Menge Wissen über den Körperbau des Menschen. Denn ohne das alles geht es nicht.

 

 

Im vorderen Bereich seines Geschäftes stehen einige Paare bereit zur Abholung – darunter etwas schlichtere Paare für Senioren aber auch einige Paare, die modern und sogar recht flippig aussehen. Auf die Frage, wer solche bunten medizinischen Schuhe braucht, sehe ich Beispielbilder, natürlich anonym – ein junges Paar Füße mit einem angeborenen Defekt. Diesem kann Hilmar aber entgegenwirken und hat die passenden Schuhe hergestellt. Denn neben der richtigen Beschaffenheit des Schuhs, spielt das Design eine sehr wichtige Rolle. „Wenn der Schuh nicht gefällt, dann passt er dem Kunden auch nicht“ so Benthin „alles wird vom Kopf gesteuert“.

Wer es nicht in seinen Laden schafft, zu dem fährt Hilmar Benthin auch nach Hause und nimmt seinen 3D Scanner einfach mit. Und knapp 3 Wochen später ist der Schuh dann auch schon fertig und der Kunde kann ihn anprobieren.

Hilmar Benthin führt das Geschäft in der 4. Generation. Sein Urgroßvater hat das Geschäft aufgebaut und er hat es vor ca. 20 Jahren von seinem Vater übernommen. „Jeden Stein, den du hier siehst, hat meine Familie gesetzt, darauf kann und muss man mächtig stolz sein!“

Auf die Frage, wie sich Arbeit und Familie vereinen lässt, ist die Antwort dann doch nicht ganz so kurz und knapp zu halten. Es ist viel Arbeit da und gutes Fachpersonal, vor allem im Handwerk, ist schwer zu finden. So arbeitet er selbst viel und lange, aber es macht ihm eben auch Spaß. Und da seine Wohnung über der Werkstatt liegt und über eine Wendeltreppe schnell zu erreichen ist, macht er auch gern abends nochmal „schnell“ eine Stunde was. Seine Frau ist immer wieder bemüht ihm etwas Urlaub zu verpassen und sorgt für die nötigen Pausen und gerne machen sie dann mal eine Tour mit der Harley.